Heiss, windig und schön: Turkmenistan (15. – 19. August 2016)

On the road again. Der Wettlauf gegen die Zeit beginnt. Auf uns warten ca. 500km in 5 Tagen. So lange erlaubt uns das Transitvisum, Turkmenistan zu durchqueren. Wir wissen nicht recht, was uns in diesem Ex-Sowjet-Staat erwartet. Die vielen wilden Geschichten von anderen Velofahrern zu Sandstürmen, starkem Gegenwind und extremer Hitze lassen uns angespannt zur Grenze fahren.

Wir sind früh an der Grenze und stehen – nach vielen Passkontrollen zwar, aber – überraschend rasch auf turkmenischem Boden. Nur eine kurze Gepäck- und Fotoapparatkontrolle auf iranischer Seite und extrem hilfsbereite turkmenische Grenzbeamte lassen uns zügig von einer Formalität zur nächsten gelangen. «Salam» ist auch hier gebräuchlich für «Hallo». Und für «Danke» und «Auf Wiedersehen» wird das selbe Wort «Saol» gebraucht, das ist doch ganz sympathisch. 🙂 Auch können wir hier endlich wieder die Schrift lesen und da Turkmenisch dem Türkischen ähnlich ist, finden wir dank unseren wenigen Kenntnissen den Zugang zu den Menschen etwas leichter.
In Serakhs kriegen wir in einem Kleiderladen für einen Dollar 4.8 Manat. Wir stocken unsere Ess- und Wasservorräte auf. Es soll bis am Abend keine Einkaufsmöglichkeit mehr geben und so decken wir uns mit 8l Wasser pro Person ein. Im ersten Lädeli sind wir bereits wieder einmal verwirrt, zeigt uns die gute Dame doch 55 auf ihrem Rechner – 11$ für unsere paar wenigen Sachen?! Wir gehen alles gemeinsam nochmals durch: So kommen wir auf 11 Manat. Ok, das macht mehr Sinn. Draussen geht uns dann endlich das Licht auf: Auch die Turkmenen haben sich noch nicht von ihrer alten Währung trennen können, darum sind die angegebenen Preise zuerst einmal /5 = Manat und dann nochmals /5 = Dollar zu rechnen…

Wow, sind die Menschen hier hübsch gekleidet: Die Frauen tragen bunte lange Kleider, die langen Haare sind oft hochgesteckt und ein ebenso farbenfrohes Tuch wird luftig um den Kopf gewickelt. Männer treten elegant in Hemd, glattgeglätteten Hosen und Lackschuhen auf. Oft glänzt eine ganze Reihe von Goldzähnen beim herzlichen Lachen im Sonnenlicht. Es ist eine Wohltat fürs Auge, nachdem die Frauen im iranischen Sarakhs praktisch ausnahmslos im schwarzen Tschador auf die Strasse gehen. Auch wir dürften uns wieder frei kleiden. Allerdings fliegt nur das Kopftuch, die langärmligen und -beinigen Kleider begleiten uns wegen der brennenden Sonne noch ein wenig weiter.

Tag 1 (119km / 8:48h): Die Wüste 😉
Die erste Etappe ist unglaublich anstrengend: Es ist wahnsinnig heiss, ein fieser Wind bläst uns den ganzen Tag entgegen und viel Kraft geht zeitweise im Schotterboden verloren. Für die nächsten ca. 100km sind wir so ziemlich auf uns alleine gestellt: Während acht Stunden sehen wir ausser den Militärs am Checkpoint keine Menschen. So alle zwei Stunden überholt uns ein Auto oder ein LKW rollt uns entgegen. Keine Siedlung, kein Schatten und nur Sand, ein paar Büsche, Wüstenmäuse und Vögel. Etwa jede Stunde machen wir Pause, quetschen uns ans Velo, um soviel Schatten wie möglich zu erhaschen und versuchen etwas zu essen. Vor Hitze ist uns aber oft nur übel. Dann zwingen wir uns, eine Frucht zu verspeisen. Wir trinken wie die Kamele und müssen trotzdem nicht aufs Klo. Irgendwann können wir fast kein Wasser mehr sehen.
Eine gefühlte Ewigkeit kämpfen wir uns mit 11km/h durch die Ebene, so stark bremst uns der Wind und immer wieder verliert der eine von uns den Optimismus und muss vom anderen motiviert werden. Als die Sonne immer tiefer fällt und als rote Kugel hinter dem Horizont verschwindet, wird es temperaturmässig angenehmer und auch der Wind lässt endlich etwas nach. Erschöpft erreichen wir um 21:30 Khauz-Khan, wo wir unsere Vorräte im Dorfladen aufstocken. In einem Balik-Restaurant ausserhalb der Stadt essen wir frittierten Fisch und Samsam (gefüllte Teigtaschen). Dazu geniessen wir unser erstes Bier seit einem Monat. Dieses hat – wie das Rüebli am Stecken den Esel – Sämy heute ans Ziel gebracht! Schlafen dürfen wir gratis draussen im Teeecken mit Teppich und Kissen. Davor gibts aber noch eine herrliche Dusche!

Tag 2 (151km / 7:07h): Die Bewohnte
Da wir gestern erst spät ins Bett gekommen sind, schaffen wir es nicht aus den Federn, als der Wecker uns um 4:45 Uhr aus unseren Träumen reisst. Wir geniessen die wohlige Wärme im Schlafsack – nachts kühlt es nämlich empfindlich ab. Um 5:30 wirds hell und eine halbe Stunde später sitzen wir auf dem Sattel. Die Strasse ist heute deutlich befahrener und richtig gut (auch nach Mary) und wir kommen dank Rückenwind in den kühlen Morgenstunden super voran. Dass unsere Beine noch so fit sind, hat uns schon etwas überrascht. Aber wir haben ganz viel Glück mit dem Wetter und der Wind macht es uns heute wirklich leichter. Links und rechts der Strasse ist es grün – es wird in der brütenden Hitze aufwändig Landwirtschaft betrieben. Es ist uns viel wohler, dass wir heute immer wieder durch bewohntes Gebiet fahren. Mary ist eine fein säuberlich herausgeputzte Stadt, mit vielen weissen Gebäuden, die mit Gold verziert sind. Ebenso glänzen Statuen vom aktuellen und ehemaligen Mr. President wo immer möglich goldgelb. Erhascht man allerdings einen Blick in einen versteckten Innenhof, zeigt sich das wahre Gesicht der Stadt: Halb verputzte, rissige Gebäude überall. Auch schaden Wohnhäuser dem prunkvollen Anblick der Stadt und so sind sie kurzerhand alle ausserhalb angesiedelt worden – die Riesenstadt nach der Stadt erinnert uns an ein Banlieue. Fotos Schiessen lassen wir bleiben, da viele Motive wie z.B. Regierungsgebäude, Brücken, Militärobjekte, usw. verboten sind und wir nicht recht wissen, was da darunter fällt und was nicht. Wir erreichen um 12 Uhr das 100km entfernte Bayramali. Wir sind so gut vorwärts gekommen, dass wir an unserem Etappenziel Mittagspause machen. Im Cafe «Yaslik» essen wir im klimatisierten Privatraum Kebab und gönnen uns während der grossen Hitze am Nachmittag ein Nickerchen. Danach trinken wir draussen Tee, damit wir uns wieder an die Hitze gewöhnen und quatschen ein bisschen mit den Besitzern des Cafes. Um halb 5 verabschieden wir uns und nehmen die 45km nach Zähmet unter die Räder. Die Turkmenen haben eine riesige Freude an uns, sie hupen, schauen und winken mit einem Lachen im Gesicht. Schweren Herzens müssen wir aber auch immer wieder an Leuten, die uns zu sich winken, vorbei fahren. Denn auch ohne diese Stopps kommen wir erst in der Dunkelheit um 21 Uhr in Zähmet an. Wir finden ein Cafe mit Zimmern, wo wir unsere Mätteli auslegen können und essen Schaschlik (Fleischspiesse) zum Znacht. Es gibt eine wohltuende Dusche und natürlich ein kühles Bier. Wir treffen hier wieder auf Isabella und Thomas und sitzen bis Mitternacht zusammen.

Tag 3 (113km / 6:46h): Die Hügelige
Das Aufstehen am nächsten Morgen ist hart. Noch todmüde fahren wir kurz nach 6 Uhr los. Der Wind hat wieder gedreht, die Strasse ist im ersten Teil etwas brüchig und die Beine schwer. Es werden strenge 110km durch die Wüste. Menschen begegnen uns erneut praktisch keine. Ab und zu flitzen weisse Toyotas oder eine Lastwagenkarawane an uns vorbei. Danach haben wir für einige Zeit wieder Ruhe und können um die Schlaglöcher zirkeln. Die Landschaft ist nicht mehr topfeben, es wird hügelig. Leider spüren wir von den «Abfahrten» nichts: Wir unterscheiden bloss zwischen streng und sehr streng… Die Sanddünen sind mit grünem Gebüsch versetzt. Die Gegend ist eintönig schön und wir beobachten Wüstenmäuse und -füchse, Erdmännli, Schlangen und viele Vögel. Immer mal wieder gibt es eine kleine Ansammlung von Häusern, die man von Weitem am hohen Telefonmasten erkennt. Am Mittag fahren wir zu einer solchen hin und fragen am Bahnhof von Peski nach einem Cafe. «Yok», es gebe aber ein «Magasin». Super, da können wir unsere Wasserreserven auffüllen und einen kühlen Schluck Cola geniessen. Wir setzen uns vors Haus in den Schatten und packen unser Picknick aus. Bald kommt die Verkäuferin raus, wir machen zusammen Föteli und sie bringt uns noch etwas zu essen (so was wie frittierte Ravioli – mmmmh). Gadam, der Bahnhofsvorsteher, bringt uns dann ins Bahnhofsgebäude, wo wir in seinem Bett schlafen können. Es ist allerdings unglaublich heiss und wir haben das Gefühl, mehr zu schwitzen als auf dem Velo… Auch Gadam und sein Mechaniker möchten noch ein Foto schiessen – die Hoffnung, als Star ins Internet zu gelangen ist bei den Turkmenen jeweils gross. Weiter gehts um 16:30 bis nach Repetek, wo wir drei Stunden später im Cafe gleich an der Strasse einkehren. Wir verdrücken Samsam, Kebab und ein Dessert. Schlafmöglichkeit gibt es eigentlich keine. Aber für uns wird im Zimmer des Sohnes ein Bett ausgelegt, wo wir erneut gratis übernachten dürfen!

Tag 4 (104km / 6:06h): Der Endspurt
Wir starten wie üblich um 6:00 in Richtung Turkmenabat. Die Strasse ist gut, der Wind noch immer gegen uns. Obwohl Sämy die längste Zeit schon verzweifelt auf Kamele wartet, geniessen wir den Anblick der Dromedar-Herde, die gemütlich über die Dünen davonzieht. Plötzlich erblicken wir in der Ferne einen Velofahrer. Dann noch einer, und noch einer, … Gesamthaft passieren uns ca. 15 Stück aus verschiedenen Ländern, die als Gruppe von Peking nach Istanbul unterwegs sind. Nachdem wir bei den ersten 3 noch dachten, es sei ein Rennen, nehmen es andere etwas gemütlicher und haben Zeit für einen Schwatz. Wir sind schon etwas neidisch über ihr Begleitfahrzeug welches das Gepäck transportiert, sowie deren Rückenwind: Die Herren um die 50ig machen noch einen richtig frischen Eindruck!
Vor und hinter uns verläuft die Strasse fadengerade, bis sie am Horizont verschwindet. Wir setzen uns Zwischenziele, damit wir die Strecke mental besser bewältigen können und gönnen uns im Cafe nach 34km einen Kaffee. Die restlichen Kilometer bis nach Turkmenabat werden psychisch nochmals eine Herausforderung und wir sind froh, als wir am Mittag endlich in das besiedelte Gebiet einfahren. Nach einer letzten turkmenischen Mahlzeit (Sämy: Nudelsuppe mit Poulet, Sabine: turkmenische Pizza = das Schaschlikfleisch liegt auf der Pizza anstatt am Spiess) und einem Pfüüsi, suchen wir Internet. Seit langem wieder einmal gibts dieses nur in Internet-Cafes! Wir berichten Adri & Steffi über unsere Erfahrungen – sie starten in wenigen Tagen ins selbe Abenteuer.
Danach fahren wir aus der Stadt in Richtung Grenze und finden im Garten eines Biolaboratoriums einen super Schlafplatz. Da niemand die Tür öffnet, richten wir uns ein. Doch plötzlich kommen zwei riesige, pechschwarze Hunde auf uns zu. Wir sind erstaunt, dass sie nicht bellen und froh, als wir einen jungen Mann entdecken. Aziz erlaubt uns da zu übernachten, bringt uns Matratzen und Kissen, eine Kanne Tee, führt uns über die Hühnchen-Fabrik, auf der er arbeitet und lebt, und kommt schliesslich mit einem Teller gekochtem Güggeli für uns vorbei. Nach dem Znacht bringt er uns nochmals Tee und zeigt uns die Dusche. Genial, damit hätten wir zuletzt gerechnet und geniessen das kühle Nass in vollen Zügen! Bei einem Bier erzählt uns Aziz von seinem Plan, so viel Geld wie möglich zu sparen, um das kriselnde Turkmenistan so bald als möglich Richtung Moskau verlassen zu können. Seine Familie wohne bereits da. Diese Geschichte macht uns betroffen. Irgendwie haben wir in Turkmenistan immer den Eindruck gehabt, die Menschen seien glücklich, trotz des diktatorischen Regimes. Im Gegensatz zum Iran hat niemand die Regierung kritisiert. Vielleicht, weil die Turkmenen nicht ganz so stark im Leben eingeschränkt werden wie die Iraner? – Kleidervorschriften herrschen keine, Musik und Tanz sind wieder erlaubt, … Oder vielleicht, weil die Angst vor den Folgen der öffentlichen Kritik zu gross ist?

Vier strenge Etappen durch Turkmenistan liegen hinter uns. Wir haben super Glück gehabt: Das Wetter hat uns keinen Strich durch die Rechnung gemacht und wir sind gesund geblieben. Es ist physisch und psychisch bis jetzt die wohl grösste Herausforderung unserer Reise gewesen. Aber wir verlassen das Land mit sehr vielen positiven Erlebnissen und Begegnungen, für die wir gerne mehr Zeit gehabt hätten.

2 thoughts on “Heiss, windig und schön: Turkmenistan (15. – 19. August 2016)”

  1. Ciao sabine und sämy

    Vielen Dank für eure lebendigen Berichte, die ein wenig Licht, orientalische Gerüche und Wärme in den plötzlich kalt gewordenen Schweizer Herbst bringen:) Es freut mich sehr, seid ihr wohlauf! Machts weiterhin gut und ich freue mich schon auf eure weiteren Erzählungen…

    Liebi Griess

    Marina

  2. Liebe Sabine, lieber Sämi,
    wunderschön, eure Reiseberichte! Jetzt habe ich in der letzten Stunde gedanklich auch Armenien, den Iran und Turkmenistan bereisen dürfen und bin schon gespannt auf neue Unterwegs-Geschichten. Ich wünsche euch weiterhin viel Kraft in den Beinen, schöne Begegnungen und Erlebnisse.
    Liebe Grüsse, Silke

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