Nach der reibungslosen Ausreise in Armenien, heisst es auf iranischer Seite erstmal warten. Die Grenzwächter liegen faul in ihren Kabäuschen und nichts geht vorwärts. Alleingelassen werden wir nicht, wir ziehen die Aufmerksamkeit der neugierigen Iraner sofort auf uns. Und so kommt Sämy zu seiner ersten Farsi-Lektion. Irgendwann erfahren wir, dass es wegen Computerproblemen momentan nicht weitergehen kann. Ca. 4 Stunden später ist es geschafft, wir stehen auf iranischem Boden. Bereits an der Grenze decken wir uns mit Rial ein – der Kurs ist wesentlich besser, als erwartet. Aber schon im ersten Shop stehen wir etwas überfordert da, als wir bezahlen müssen…
Da uns der Iran dank Zeitverschiebung noch eine halbe Stunde klaut, werfen wir uns erst um halb vier in die drückend heisse Nachmittagshitze. Es war ja schon in Armenien heiss, aber doch scheint uns hier die Temperatur auf Knopfdruck noch ein paar Grade angestiegen zu sein. Links und rechts ragen karge Felsen in die Höhe. Schatten gibt es keinen. Armenien, bald die Exklave Aserbaijans und der Iran unterscheiden sich landschaftlich nicht. Nach wenigen Kilometern finden wir einen schönen, schattigen Platz am Fluss und beschliessen, die Nacht da zu verbringen.
Wir radeln weiter in Richtung Jolfa, dem Fluss Arad entlang, wo sich der einzige Farbkontrast in der Landschaft befindet: Ein paar Bäume und grüne Felder stehen am Ufer des Wassers, sonst ist alles beige in beige. Die Dörfer mit ihren Lehmhäusern mit Flachdach passen sich perfekt in die Landschaft ein – verschwinden fast in ihr. Auch die vielen gelb-braunen Getreidefelder, auf denen von Hand geerntet wird, schmiegen sich in die gleichfarbene Umgebung. Was finden die vereinzelten Schaf- und Kuhherden hier wohl zu fressen? Auch Wasser fliesst nur im grossen Grenzfluss, praktisch alle Zuflüsse sind ausgetrocknet. Die Militärpräsenz ist allgegenwärtig. Wir trauen uns kaum, ein Foto zu schiessen, so stark ist das Gebiet bewacht.
In Jolfa gönnen wir uns einen süssen Fruchtsaft. Der Barbesitzer bringt uns allen ein Eis, schenkt uns eine Melone und will am Schluss kein Geld entgegennehmen. Wir schaffen es, dass er wenigstens umgerechnet 3 CHF für die 9 Säfte annimmt. Im Früchte- und Gemüseladen erleben wir eine ähnliche Geschichte. Nachdem wir Gemüse gekauft haben, nimmt der Verkäufer Sämys Hand, zieht ihn durch die Regale und füllt einen zusätzlichen Sack mit Früchten, den er uns schenkt. Unglaublich! Aber aufgepasst: Nicht immer ist umsonst Angebotenes, wirklich so gemeint. Es gilt herauszufinden, ob der Taxifahrer nur aus Höflichkeit kein Geld annehmen möchte oder ob er uns wirklich gratis mitnimmt. Meist lehnen wir 2-3x ab und finden anhand der Reaktion des Gegenübers heraus, ob er einfach höflich war, oder das Geschenk ernst gemeint ist. Bezahlt man nicht, obwohl das Angebot des Gesprächspartners nur höflich gewesen ist, ist dies hingegen eine sehr unhöfliche Geste unsererseits. Dieses «Taruf» genannte Hin und Her erinnert uns an gewisse Höflichkeitsfloskeln in der Schweiz, allerdings auf einem total anderen Level und für uns manchmal schwierig einzustufen.
Wir sitzen in den Park und essen Zmittag. Die Neugier der Menschen ist gross: Viele machen ebenfalls Picknick im Grünen und kommen auf einen Schwatz vorbei. Von Hand und Fuss-Unterhaltung bis zu Gesprächen in gutem Englisch ist alles dabei. Alle wollen wissen woher wir sind. «Oh, Suiiss, gooood!», heisst es dann mit einem Lachen im Gesicht und wir werden im Iran herzlich willkommen geheissen.
Am Nachmittag wollen wir im Zentrum eine SIM-Karte organisieren. Wir fragen uns durch und irren in der Stadt umher. Leider erfolglos. Helfen tut jeder, auch wenn er keine Ahnung hat – es wird einfach mal in eine Richtung gezeigt…
Wir stehen früh auf und sitzen um halb acht auf den Sätteln. Wir fahren durch die Strassen, die mit Portraits der Märtyrer des Iran-Irakkrieges dekoriert sind, und verlassen bald die Stadt. So schaffen wir die Steigung bevor es unerträglich heiss wird. Im Schatten eines Baumes essen wir Zmittag und machen Siesta. Wir könnten es locker noch 1-2 Stunden geniessen, aber unsere holländischen Freunde zieht es weiter nach Marand. Der Tankstellenchef findet Sabines langen schwarzen Umhang unmöglich und rät ihr, sie solle doch im T-Shirt fahren. Ob das denn kein Problem sei? «Nein, im Gegenteil, es sei viel zu heiss in dem schwarzen Ding!». Ob denn wirklich kein Iraner ein Problem damit habe? «Hmm, also es sei vielleicht schon nicht für alle ok…». Soso, tja, dann lassen wir das wohl besser mit dem T-Shirt. Bei der Verabschiedung meint er, er würde uns im Stadtzentrum treffen und mit uns auf den Bazar gehen.
Das erste, was er sich für Sabine aussucht, ist ein übergrosses T-Shirt. Das haben wir doch bereits geklärt, oder?! Als nächstes findet er regelkonforme Shirts, die leider alle für unseren Geschmack etwas zu kitschig oder zu bunt sind – uni gibt es nicht. Bei jedem weiteren Vorschlag den Sabine ablehnt, fühlen wir uns schlechter. Er nimmt sich so viel Zeit und hilft uns, die Sprachbarriere zu knacken, aber trotzdem möchten wir nicht einfach etwas kaufen, was Sabine nie tragen wird… Die Rettung kommt von Koen, der plötzlich vorschlägt, das Problem auf später zu verschieben und erstmal eine SIM-Karte kaufen zu gehen. Phu, danke, aus dieser Situation hätten wir uns somit elegant rausgeschlichen…
Heute wollen wir Tabriz erreichen. Auch auf der Strasse ist die Neugier der Menschen ungebrochen: Autos fahren ganz langsam oder wiederholt an uns vorbei. Andere warten auf dem Pannenstreifen, bis wir passieren. Der zweite Teil der Strecke führt auf einem stark befahrenen Highway durch Industriegebiet. Kurz vor dem Stadteingang biegen wir ab und fahren durch die grünen Gärten von Tabriz. Es riecht fein nach Kräutern aller Art. Dieser gute Duft wird aber bald von hässlichen Abgasen abgelöst. Wir schlängeln uns durch den chaotischen Verkehr quer durch die Stadt. Kein Auto bleibt in seiner Linie, Taxis halten rechts an, wann immer sie einen möglichen Passagier erblicken und düsen, kaum sind die Türen geschlossen, ohne Blick nach hinten wieder davon. Ein solcher Verkehr ist also eine echte Herausforderung und wir erreichen müde einen Park, in dem wir umsonst zelten dürfen. Er verfügt über kühles, frisches Wasser, ein Strombrett und neben Toiletten sogar über Duschen! Der Camping ist ein einziger Hotspot für Veloreisende: Ein holländisch/ungarisches Paar, von dem wir seit Armenien immer wieder durch andere Reisende gehört haben, ist schon seit zwei Tagen da und abends kommen zwei Franzosen und ein Belgier dazu. Zu neunt tauschen wir uns über Pläne und Erfahrungen aus und es wird ein lustiger, internationaler Abend. Auch die Iraner campieren gerne. Alle im Einheitszelt. Am liebsten auf Asphalt – man hat ja den geliebten Teppich dabei, wo es sich prima drauf schlafen lässt (im Übrigen auch ohne Zelt…). Dass der Rasen nicht zum Campieren, sondern zum Picknicken da ist, erfahren wir am zweiten Tag, als der Parkgärtner uns etwas genervt bittet, das Zelt umzustellen (am besten auf den Asphalt), damit er den Rasen wässern kann.
Mit einem iranischen Paar machen wir Tabriz unsicher: Shoppen auf dem Bazar, Besichtigung der blauen Moschee, Tee trinken in einem der schönsten Parks (Elgoli) in Tabriz… Der Iran schafft es auf den ersten Platz der Selfie-Rangliste. Zwar sind auch in der Türkei, Georgien und Armenien gerne Fotos geschossen worden, aber so viele – auch unbekannte Menschen, mit denen wir nicht ein Wort gewechselt haben – die uns als Fotosujet wollen, haben wir noch nirgends angetroffen.
Es gefällt uns so gut, dass wir zwei Tage bleiben und dann den Bus nach Tehran nehmen. Da Sabines Freilauf immer mal wieder aus heiterem Himmel blockiert, haben wir uns entschieden, so rasch als möglich in die Hauptstadt zu gelangen.
Es ist 22:00, als wir uns beim tehraner Busterminal West auf die Sättel schwingen. Unsere Gastgeber (die wir in Armenien kennengelernt haben) begleiten uns mit dem Auto und transportieren unser Gepäck. Der Verkehr ist auch nachts laut und chaotisch. Jeder fährt wie es ihm passt. Aber trotzdem flutscht es ziemlich gut – und unser Supportwagen schirmt uns bei Ausfahrten vor dem Verkehr ab. Wir fahren in den Nordwesten und müssen ein paar Höhenmeter bezwingen. Tief in die Lunge gelangen mit jedem Atemzug die stickigen Abgase.
Nicht nur an unserem ersten Abend in Tehran gibt es sehr spät Znacht. Wir essen jeweils frühstens um 22:00 und bis wir dann im Bett sind, ist meist nach Mitternacht. Das macht das frühe Aufstehen umso schwieriger. Wir müssen zu den Botschaften und unsere Gastgeber führen uns in die Welt des Taxifahrens in Tehran ein. Diese ist gar nicht so einfach zu durchschauen: Das Bus- und Metrosystem ist nämlich nicht stadtweit ausgebaut und sehr langsam. Daher fahren Taxis eine vorgegebene Strecke – meist von einer grossen Kreuzung zur nächsten – und werden wenn immer möglich gefüllt. Dabei werden zwei Typen unterschieden: Die gelben, lizenzierten fahren zu fixem Preis. Bei allen andern gilt es zu verhandeln. Für Touristen heisst es aber bei allen erst den Preis ausmachen, da ein wenig Sackgeld für den Fahrer ja nie schadet…
Dazu kommt die ewige Verwechslungsgefahr der Währungen: Im Iran hat es vor der Revolution den Toman gegeben. Der Kurs beläuft sich auf ca. 1$ = 3500T. An dieser Währung haften aber zu viele Altlasten und so ist der Rial mit 10 Mal kleinerem Wert eingeführt worden. Scheine gibt es als 100, 200, 500, 1000, 2000, 5000, 10000, 20000, 50000, 100000, 500000 und 1000000. Die Noten sind so lange, dass sie nur gefaltet ins Portemonnaie passen. Zudem schaut z.B. der 10000er dem 100000er nicht nur zahlentechnisch, nein auch farblich recht ähnlich. Und da die Iraner immer noch am Toman festhalten, weiss man beim Preis von z.B. 7500 nur nach Nachdenken, ob Toman oder Rial gemeint sind.
Um also zu den 8km entfernten Botschaften zu gelangen, müssen wir etliche Male das Taxi wechseln, den nächsten Square möglichst lautgetreu aussprechen und dann neu verhandeln. Ca. eine Stunde später kommen wir bereits etwas erschöpft auf dem Konsulat an.
Die Botschaften haben nur kurze Öffnungszeiten und liegen zwar im selben Stadtteil, aber nicht in Gehdistanz. Nach zwei Tagen haben wir unseren Antrag bei der Usbekischen abgegeben, das Tajikische via Internet als E-Visa bestellt und die chinesische Botschaft besucht. Jede Botschaft verlangt andere Dokumente und Formvorschriften: Da braucht es zwei Kopien vom Antragsformular (Usbekistan), da muss der Antrag unbedingt doppelseitig ausgedruckt werden (China), da benötigen wir zwei Passfotos, zudem eine Bestätigung der eigenen Botschaft, dass sie unser Vorhaben unterstützt (Usbekistan & China, je CHF 40.-), hier wird ein handgeschriebener Brief mit Begründung des Visaantrages verlangt (Turkmenistan), … Unglaublich viel Papierkram also. Und nicht einmal, wenn all die Vorgaben der Botschaft eingehalten werden, hat man das Visum auf sicher. So eben bei den Chinesen: Auf dem Antragsformular gibt es nur die Möglichkeit, bei drei Monaten Einreisezeit und drei Monaten Aufenthaltszeit in China ein Häkli zu setzen. Bis ein paar Tage vor unserem Botschaftsbesuch war das anscheinend auch kein Problem. Doch als wir am Schalter stehen, heisst es, wir kriegen maximal 1 Monat Einreisezeit und 1 Monat Aufenthaltsdauer. Alles bitten und betteln hat nichts genutzt. Dass es für uns unmöglich ist, in einem Monat von Tehran nach China zu strampeln, hat den Typen kalt gelassen. Da es zudem in Zentralasien für Touristen zur Zeit nicht möglich ist, ein China-Visum zu beantragen, müssen wir jetzt einen neuen Plan auf die Beine stellen. Wir recherchieren und schmieden Pläne: Wie wärs von Kirgistan nach New Delhi zu fliegen und dem Himalaja entlang von Süden nach Nepal zu fahren?
Am vierten Tag nehmen wir den Nachtbus und flüchten endlich aus der Grossstadt nach Shiraz. Noch immer gibt es hier in der Gegend Weintrauben, die offiziell aber nur zum süssen, nicht alkoholischen Malzgetränk und zu Rosinen verarbeitet werden. Es folgt nun ein bisschen Backpacker-Reisen und wir besuchen vielseitige, detailreiche und imposante iranische Bauwerke. Darunter auch ein Mausoleum. Dafür muss sich Sabine allerdings einen (Touristen-)Tschador umhängen lassen und kann sich so einmal in die verhüllten iranischen Frauen versetzen. Es ist ja schon ohne Ganzkörperumhang unangenehm warm mit langärmliger Kleidung und Kopftuch. Doch mit dem Tschador kann die Hitze wirklich nirgends mehr entweichen und staut sich unerträglich unter dem Stoff. Auch wenn es heiss ist, der Besuch lohnt sich sehr: Das Mausoleum ist im Innern mit lauter kleinen Spiegeln bestückt und funkelt nur so vor sich hin. Sie sorgen für prunkvolles Aussehen, währenddem sie dank den vielen Brüchen im Glas nicht wirklich spiegeln, sodass Gläubige beim Beten nicht abgelenkt werden. Männer und Frauen besuchen es getrennt und jeder von uns erhält einen Aufpasser. Wir begeben uns mit dutzenden anderen Menschen in den Fluss, um so nah als möglich am Schrein vorbeizukommen. Die Leute schreien, weinen und küssen oder streicheln den Schrein. Mit einem Staubwedel sorgen Aufpasser dafür, dass der Strom nicht stoppt und alle einen Blick auf das Schah Tscheragh, das Grab der vor vielen, vielen Jahren gestorbenen Amir Ahmad und Mir Muhammad (Brüder des achten Imams Reza) werfen können.
Im Park treffen wir auf gesprächige Einheimische, welche offen über die Missstände und ihre Unzufriedenheit über das System erzählen. Praktisch all unsere Gastgeber sind nicht sehr religiös oder zumindest dem Regime eher kritisch eingestellt. Die vielen Verbote und Einschränkungen des täglichen Lebens (Kleidervorschriften, Verbot von westlicher Musik, Verbot von Tanz, Verbot homosexueller und unehelicher Beziehungen, Singverbot, Religionsunfreiheit, …) sind für uns Europäer fast unvorstellbar und die Unzufriedenheit dieser Menschen daher gut nachvollziehbar. Wir begegnen vielen Iranern, die super englisch, deutsch oder französisch sprechen und sich die Sprache selbst beigebracht haben! Die meisten von ihnen möchten unbedingt im Ausland leben oder zumindest studieren. Die Ehrgeizigkeit, Motivation und der Wille dieser Menschen imponiert uns. Aber er zeigt uns auch auf, dass viele Iraner nicht in diesem Staat leben können und die Freiheit in Europa oder Amerika suchen.
Von Shiraz gehts weiter nach Esfahan. Die Stadt ist wunderschön und es gibt viel zu besichtigen: Moscheen, den Basar, weite, geschwungene Brücken über den ausgetrockneten Fluss, das Armenierviertel mit Kirchen, sowie einen Palast. Nur: Heute ist Feiertag (Todestag irgendeines Imams) und deshalb haben all diese Sehenswürdigkeiten geschlossen. Wir kommen trotzdem auf unsere Kosten: Mansourd – ein pensionierter Veterinärmediziner, der uns auf der Strasse anspricht – begleitet uns den ganzen Tag durch die Stadt, zeigt uns Werkstätten, in denen Kupferware bepinselt oder aus Kamelknochen und eingefärbtem Holz wunderschöne Boxen angefertigt werden.
Viel Zeit verbringen wir auch auf dem Imam-Platz. Dieser ist das Herz der Stadt und viele Touristen (die meisten sind Iraner) und Einwohner treffen sich hier am Abend zum Picknick. Dann ist jeder Fleck des saftig grünen Rasens mit einem Perser-Teppich belegt. Wie schon in Shiraz oder in Persepolis sprechen uns diverse Iraner an und laden uns zu Tee und Essen ein. Einige wollen ihre Englischkenntnisse anwenden, andere versuchen uns die eine oder andere Antwort auf brennende Fragen über ihr Land zu entlocken. So folgt nach der herzlichen Begrüssung meist die überaus wichtige Frage, was unsere Landsleute zu Hause über den Iran denken. Und ob wir den Iran anders erleben, als erwartet. Wir fragen uns, was wir alles sagen dürfen und haben mit der Zeit jeweils diplomatische Antworten für die gängigsten Fragen bereit. 😉
Weiterziehen lassen sie uns dann aber meist nicht gerne: Einmal auf dem Teppich Platz genommen, ist man Gast dieser Familie. Andere Iraner, welche ebenfalls gerne mit uns sprechen würden, werden beinahe abgewimmelt. “Wollt ihr wirklich weiter? Ihr könnt auch gerne bei uns schlafen!”, ist daher beim Abschied gängig und bringt uns immer wieder in die Zwickmühle.
Mit Steffi und Adri, zwei Schweizer Tourenradler, die wir in Shiraz getroffen haben, gehts weiter nach Kashan. Es ist eine hübsche Wüstenstadt, doch die Hitze (45°C) macht es in der Sonne kaum erträglich! Wir besichtigen die pompösen, traditionellen Herrschaftshäuser. Ausgeklügelte Windtürme sorgen dafür, dass kühle Luft in die Räume gelangt. Auch hier – wie überall im Iran – ist der Eintrittspreis von staatlichen Sehenswürdigkeiten für Touristen auf einheitliche 200000 (Rial, zu eurer Hilfe 😉 ) gesetzt – Iraner bezahlen einen Zehntel davon. Unabhängig, ob es sich dabei um einen halbtägigen Besuch der antiken Riesen-Stadt Persepolis oder einen kleinen botanischen Garten handelt. Dies macht uns wählerisch, was wir anschauen gehen wollen. Eigentlich schade. Wir merken, dass wir diese Art zu reisen und unser super-touristisches Leben hier im Süden überhaupt nicht gewohnt sind und auch gar nicht so mögen.
Abends um 5 fahren wir zurück nach Tehran. Für die 3-stündige Fahrt bezahlen wir im Zweitklass-Bus nur 3$ pro Person. Zur Feier des 1. Augustes gehen wir noch zusammen Kebab essen. 😉 Dann fahren wir zu unseren nächsten Gastgebern. Kaum aus der Metro raus, wollen wir uns auf der Karte orientieren. Aber schon tippt uns Akbar aus Marand auf die Schulter und führt uns zu Ali. Natürlich gibts hier nochmals Znacht…
Am nächsten Tag gehts wieder los mit dem Botschaftsmarathon. Dieses Mal nehmen wir aber die nahegelegene Metro. Die Fahrt in der U-Bahn ist ebenfalls ein Erlebnis: Es gibt einen Wagen nur für Frauen, die anderen sind gemischt. Es ist eng und die Leute versuchen einzusteigen bevor die anderen ausgestiegen sind. Viel zu wenige Haltevorkehrungen sind vorhanden, sodass die ganze Masse bei jedem Ruckeln hin und her schwappt und sich die Frauen dann jeweils böse anschauen. Stationsnamen werden oft nur kurz und für uns unverständlich ausgerufen und stehen nirgends auf Anzeigen oder sind von Mitfahrern verdeckt. Also merken wir uns die Anzahl der Zwischenhalte. Aber hoppla, da stimmt doch etwas nicht?! Wir erfahren, dass das Metrobauprojekt noch nicht abgeschlossen ist und deshalb einige Haltestellen oder gar ganze Linien noch nicht betriebsfertig sind. Um Kosten zu sparen sind aber alle Übersichtspläne bereits in der endgültigen Fassung gedruckt worden. Anmerkungen, welche Stationen bedient werden, gibt es nicht. Wenn der gemischte Wagen (de facto Männerwagon) nicht allzu voll ist, steigt Sabine also mit Sämy ein, damit wir zumindest beide am gleichen Ort aussteigen.
Steffi und Adri warten schon vor der usbekischen Botschaft und im Nu halten wir unser Visum in den Händen. Wir eilen weiter zum Kopiershop, da Farbduplikate eben dieses Visums für den nächsten Antrag Voraussetzung sind. Dann gehts zur turkmenischen Botschaft, wo wir unsere Anträge abgeben. Steffi und Adri wollen es nochmals auf der Chinesischen versuchen – leider ohne Erfolg. Danach ist fürs Erste Ausruhen im Park angesagt. Abends treffen wir uns mit dem französischen Paar aus Tabriz, einem deutschen, einer taiwanesischen Velofahrerin und ein paar Iranern im Park.
Wir sind ziemlich müde von den kurzen und manchmal unruhigen (Bus-)Nächten und schlafen in den nächsten Tagen etwas aus.
Nun verlassen wir Tehran definitiv für diese Reise. Wir hoffen dies zumindest, da wir erst in Mashhad erfahren, ob wir unser Turkmenistan-Visum erhalten oder nicht. Und die Anzahl der Abweisungen ist legendär hoch… Mit unseren Gastgebern und deren Familien treffen wir uns am Freitag (iranischer Sonntag) im zehn Kilometer entfernten Park. Da Shima und Esham auch Velofahrer sind, steigen wir natürlich auf unsere Drahtesel. Praktisch alle Autos sind weiss, grau oder silbern, einzige Farbtupfer sind die gelben und grünen Taxis und die blauen Lastwagen. Die Familie hat unglaublich Freude an uns Ausländern und es wird ein superlustiger Morgen.
Vor dem turkmenischen Konsulat am nächsten Tag warten bereits zwei Personen, die von uns in Sekundenschnelle als Schweizer Ehepaar identifiziert werden (Flauder-Fläschli sei Dank 😉 ). Nachdem wir alle unser Visum erhalten haben – jupiiii 🙂 -, flanieren wir gemeinsam glücklich durch Mashhad. Mashhad ist die heiligste Stadt des Irans, da sie den Schrein des Imam Reza beherbergt. Morgen ist dessen Geburtstag und deshalb ist die halbe muslimische Welt unterwegs zu diesem Schrein. Die Frauen stehen auf dem Vorplatz in ihrem schwarzen Tschador in der prallen Mittagshitze Schlange. Ausserdem sind auch alle Leih-Tschadors schon verteilt und unser Aufpasserguide teilt uns mit, dass wir nun halt einen solchen kaufen müssten. Er begleitet uns auf den Bazar und Isabella und Sabine begutachten die guten Stücke. Da unsere Gastgeber mit uns abends noch zum Schrein gehen wollen, lassen wir die Tschadors aber bei ihren nicht verhandlungswilligen Besitzern.
Mit Isabella und Thomas verabreden wir uns für den morgigen Tag, an dem sie uns und unsere Velos mit ihrem LKW zum Grenzort Serakhs mitnehmen. Dort finden wir einen Park, wo wir unser Zelt aufstellen, doch schon bald kommt der Parkwächter und meint, wir müssten bitte auf den Beton verschieben. Alles Erklären, dass unser Zelt ohne Heringe nicht steht, nützt nichts. Einheimische setzen sich für uns ein und erreichen, dass wir das Zelt auf ein 50m entferntes Rasenstück verschieben dürfen. Kaum ist das Zelt ab- und wieder aufgebaut erscheint die Polizei und meint, zelten sei hier grundsätzlich verboten. Wir müssten mit ihnen mitkommen. Es ist schon dunkel und wir sind langsam so hungrig, dass wir versprechen ihnen zu folgen, sobald wir Znacht gegessen haben. Die Polizisten willigen ein und schauen uns beim Kochen und Speisen aus sicherer Distanz zu. Und so werden wir einige Zeit später zum Roten Halbmond geführt, wo wir in einem mit Teppich ausgelegten Raum mit uralter Klimaanlage landen. Da diese nur laufen darf, wenn die Zimmertüre offen steht, wird unsere letzte iranische Nacht dank Mordshitze kurz und unruhig.
Wir verlassen den Iran mit gemischten Gefühlen. Wir sind unglaublich dankbar über die vielen netten Gesten und Begegnungen mit Iranern, die uns spontan das Taxi bezahlen, Brot für uns bestellen und schenken, Tee anbieten, uns an der Hand nehmen und zum Gemüseladen führen, helfen, das Velo die Treppe hochzuschleppen, usw. Aber manchmal werden wir regelrecht von Hilfsbereitschaft überschüttet: Es ist eine richtige Konkurrenz vorhanden, wer uns nun helfen darf. Ganztägige Begleitung ist oft normal. Es ist dann schwierig, von den Leuten loszukommen und wir müssen unsere eigenen Bedürfnisse hinten anstellen. Dass man keine Hilfe benötigt oder gerne was anderes machen möchte, wird manchmal einfach ignoriert. Einige Leute sagen uns, es sei ihre Verpflichtung, uns zu helfen. Und so kommt es uns zum Teil auch etwas vor: Es wird geholfen, damit diese Pflicht erfüllt wird – die Tat des Helfenden steht dabei im Zentrum.
Oft wissen wir auch nicht, ob wir uns korrekt verhalten und ob wir aufpassen müssen, was wir sagen. Das ist umso schwieriger, wenn wir solch kritische Fragen zum Iran beantworten müssen. Einmal übernachten wir bei einem Warmshowers-Kontakt auf dem Balkon unter freiem Himmel. Er ist Atheist, aber seine Mutter strenggläubig. Und so wissen wir nicht recht, wie wir uns verhalten müssen/sollen. (Z.B.: Muss Sabine im Kopftuch und langärmlig schlafen?)
Zudem bereisen wir den Iran als erstes Land hauptsächlich mit dem Bus und merken, wie uns ein Stück Unabhängigkeit, die wir sonst mit dem Velo haben, fehlt.
All dies führt dazu, dass wir uns oft nicht so richtig wohl gefühlt haben.
Aber wir wollen unbedingt wiederkommen! Vielleicht haben wir bloss zu viele Stunden mit bürokratischem Visakram verplämpert und zu wenige auf dem Land, in den Bergen oder am Meer. Aber eines ist sicher: Wir wählen eine andere Jahreszeit und sitzen dann definitiv mehr auf unseren Velos, um den Iran zu bereisen. 😉
Liabi Stramplis
Wow das tönt jo unglaublich spannend!
I han schu viel fu dr Hilfsbereitschaft und au Plauderfreud fu da Iraner ghört – das kann glaub würkli akli schwierig sii mengmol. Aber so wia iar brichten, hend iar eu doch super verhalta 😉
I bewundera wia dia Menscha in dena Pärkli sitzen und eifach zema sind. Das sötten miar alli viel öfters macha 😉
Alles Liabi und viel Erfolg mit eurer Umplanig bzgl. China…
Natacha