Zauberhafte Naturspektakel: Türkei, Teil III (19. – 30. Mai 2016)

Nach 10 Stunden kommen wir endlich in Aksaray an. Wir kommen uns vor, als hätte man uns über Nacht in eine komplett andere Welt katapultiert: Die Landschaft ist karg, dafür bunt. Die Erde leuchtet in Braun-, Gelb- und Rottönen. Und immer wieder ist sie auch mit Felsen durchsetzt.

Bald sind die ersten Feenkamine zu sehen: Vulkane haben vor gut 20 Millionen Jahren Asche und Staub über die Landschaft gespuckt. Diese Ablagerungen haben eine Schicht aus sehr weichen Tuffstein gebildet. Wasser und Wind haben diese Schicht über die Jahre wieder abgetragen. Dort, wo über der Tuffschicht härteres Gestein abgelagert worden ist, ist der darunter liegende Tuffstein zumindest teilweise von erosionsbedingten Abtragungen verschont geblieben. So haben sich die in Kappadokien landschaftsbildprägenden Feenkamine herausgebildet.
Dieses Naturspektakel beeindruckt uns wahnsinnig. In Ihlara suchen wir einen Platz für unser Zelt. Morgen wollen wir ins Ihlara-Vadisi, ein von Weitem kaum sichtbares Tal. Eindrücklich ist die zum Teil bis 150m tiefe Schlucht schon wenn man von oben hinunter schaut. Als hätte sich der Fels an dieser Stelle auseinandergerissen. Wir steigen herab und durchwandern das dank einem Fluss grüne Tal. Immer wieder zweigt ein Weg ab und führt zu Felsenkirchen und Höhlen. Byzantinische Mönche haben sie in das weiche Tuffgestein hineingeschlagen und so im Versteckten ihre Religion praktizieren können. Die Kirchen sind mit schönen Wandmalereien versehen worden. Wir sind fasziniert von der Präzision, der Grösse und dem unglaublichen Detailgrad der Gebäude.
Per Autostopp fahren wir ans Ende der Schlucht, um das riesige Selime Kalesi (Kloster), welches ebenfalls in den Tuffstein geschlagen worden ist, zu besichtigen. Küche, Kelterei, Kirche und Stall sind gut ersichtlich und beim Kraxeln durch die Tunnels und Türen, versuchen wir uns vorzustellen, wie es sich dazumals so gelebt haben muss.

Auch weiter fahren wir durch atemberaubende Landschaften. Die Häuser sind oft aus sandbraunen Steinen gebaut, so dass sich die Dörfer total in die Natur einpassen. Wir überqueren einen 1770 m.ü.M. Pass und geniessen die anschliessende Abfahrt. Als wir unser Zmittag in einem Dorfladen einkaufen, wird uns gleich ein Çay angeboten. Der Verkäufer rät uns kurz bevor wir weiterziehen, wir sollen noch durch das Dorf fahren, es finde eine Hochzeit statt. Erst wollen wir diesen Hinweis ignorieren, aber als er uns mit den Armen fuchtelnd den richtigen Weg zeigt, biegen wir doch ab. Die Hochzeit ist nicht schwer zu finden: Einfach der ohrenbetäubend lauten Musik folgen und schon werden wir in den Innenhof gewinkt. Eine Reihe Männer sitzt schon da und trinkt Çay – kurz später auch wir. Plötzlich hält ein Auto und die Braut in grün und ihr Bräutigam steigen aus. Sie machen einen kurzen Tanz, bevor sie im Haus verschwinden. Wir kriegen die beiden nicht mehr zu Gesicht… Immer mehr Gäste kommen und bringen Blumen, Teppiche und andere Geschenke mit. Bald stehen vor uns je zwei Teller mit Salat, Hauptgang und Dessert. Wir sind die einzigen, die etwas zu essen bekommen und fühlen uns etwas beobachtet dabei. Sabine wird dann ins Gebäude geführt, wo die Frauen an den Wänden im Kreis sitzen und erhascht einen kurzen Blick in die Küche, wo in grossen Töpfen gekocht wird. Währenddessen tanzt Sämy draussen mit einigen Männern zu traditioneller türkischer Folklore und erhält mit allen anderen Männern zusammen (nochmals) Zmittag. Immer mehr Frauen kommen dazu, stellen sich aber abseits der Männer auf. Nach ca. zwei Stunden geheisst uns der Verkäufer, der irgendwann auch zur Party gestossen ist, ihm zu folgen. Er bringt uns weg vom Fest zu einem Bauer, der in seinem Garten einen alten Grabstein gefunden hat. Ob wir die Schrift kennen und lesen können, was da stehe? Leider können wir nicht weiterhelfen und ziehen weiter. Unser Ziel ist Derinkuyu bzw. dessen Untergrundstadt. Wir streifen durch das unterirdische Höhlen- und Tunnelsystem und sind wiederum beeindruckt, was hier entstanden ist: Hunderte Schächte, Zimmer, Kommunikationskanäle, Luft- und Wasserzufuhr und Verbindungs-Tunnels können besichtigt werden. Und dabei ist nur ein kleiner Teil der Öffentlichkeit zugänglich!
Ausgangs Stadt finden wir einen geeigneten Schlafplatz. Doch als wir unsere Velos dahin holen wollen, kommt ein Junge auf seinem Fahrrad und meint daraufhin, dass zelteln hier keine gute Idee sei: “Çok köpek var!” (Es gibt viele Hunde). Hmm, ob er einen guten Platz wisse? Er düst davon und winkt uns etwas später zu sich. Wir dürfen das Zelt vor dem Bauernhaus aufstellen und bekommen sogleich einen Çay angeboten. Kaum haben wir den letzten Schluck ausgetrunken, wird uns ein Znacht aufgetischt. Einmal mehr sind wir einfach nur perplex und können nicht ganz fassen, was mit uns geschieht… Zum anschliessenden Tee werden wir in die warme Stube gebeten und erleben einen weiteren lustigen und spannenden Abend in einer türkischen Familie.

Am nächsten Morgen werden wir nach dem Zelt aufräumen zum Tee gerufen und erhalten ein Frühstück mit Käse, Oliven, Ei und Brot aufgetischt (Natürlich haben wir zuvor bereits im Zelt unsere Nutellabrötli verdrückt… :)). Zum Abschied erhalten wir zwei riesige Fladenbrote, Gemüse und Eier! Unglaublich, dass uns Menschen, die nicht viel zu haben scheinen, mit aller Selbstverständlichkeit so reichhaltig beschenken. Ein weiteres Mal starten wir mit dem Vorsatz in den Tag, etwas von dieser Hilfsbereitschaft und Gastfreundschaft in die Schweiz mitzunehmen.

Es gibt gleich zu Beginn eine Steigung zu erkämpfen. Frühmorgens ist das immer etwas hart, wenn die Muskeln noch eingerostet sind… Wir erreichen den Fuss eines erloschenen Vulkans und fahren danach durch karge, aber mit aufwändigen Bewässerungssystemen bewirtschaftete Täler. In Mazıköy machen wir erneut Halt um eine der vielen weiteren Untergrundstädte zu erkunden. Sie ist einiges weniger touristisch und so kriechen wir praktisch alleine durch die Gänge. Sobald irgendwo ein Tunnel abzweigt, oder eine Treppe einen finsteren Schacht hochführt, ist Sämy sofort im Dunkeln verschwunden. Viel später kommt er dann aus einer anderen Höhle zurück und erzählt strahlend, dass er soeben zwei Stockwerke höher war, ein enger Tunnel ihn in weitere Räume gebracht habe, von wo aus er durch einen Schacht wieder absteigen konnte… Sein Entdeckerinstinkt ist geweckt, alle davon-abhalten-Versuche scheitern. Da hilft nur, Schokoriegel essen und hoffen, dass er heil wieder auftaucht. Plötzlich kommt der Aufseher auf uns zu und fragt, ob er uns etwas die Stadt zeigen soll. Ja klar! Anfangs gehen wir durch den Stall, die Küche, … alles Räume, die wir natürlich schon längst besichtigt haben. Dann steigt er auf den abgetragenen, sandigen Tritten eines senkrechten 5m hohen Schachts empor, weiter durch enge, dunkle Tunnels, es geht rauf und runter und wir landen in Teilen der Stadt, in die wir uns wohl nie hingewagt hätten. Er in seiner Uniform (Hemd, drüber Pullover, Faltenhose und Lackschüeli), wir in unseren Sandalen… Wir sollen mitkommen, es gebe einen weiteren Eingang! Und weiter gehts, in noch staubigere Höhlen und Tunnels, auf noch weniger gut erhaltenen Tritten in die Höhe und irgendwo später wieder runter. Wir haben die Orientiering komplett verloren, aber der Aufseher scheint sich hier auszukennen, als wärs sein zuhause. Igendwann stehen wir wieder draussen auf der Wiese, die helle Sonne im Gesicht. Wow, war das ein Erlebnis!!! 🙂

Der Wind bläst so stark durch die Täler, dass wir kaum vorwärts kommen. Über Mustafapaşa, wo wir in ein starkes Gewitter kommen, und Ürgüp fahren wir nach Göreme. Wir kommen aus dem Staunen kaum mehr raus und müssen uns richtig zwingen, auf die Strasse zu schauen. Überall ziehen faszinierende Gesteinsformationen unsere Blicke auf sich.

Im ausserordentlich touristischen Göreme machen wir Halt, um weitere Höhlenbehausungen und die atemberaubende Landschaft zu besichtigen. Es ist so unglaublich schön und wir geniessen es, die Gegend für einmal zu Fuss zu erkunden. Der Hostelangestellte Kenan kocht für uns und wir erhalten einen Eindruck, wie ein Kurde die Situation in der Türkei erlebt. Resigniert ob der Unterdrückung durch die türkische Regierung hofft er, dass die Kurden dank ihrer kinderreichen Familien bald die Mehrheit im Land werden und somit an die Macht kommen. Wir sind uns nicht sicher, ob das die Situation verbessert oder einfach nur dreht… Spannend, einmal eine zu der in den Medien berichteten, alternative Sicht der Dinge zu hören, ist es aber allemal.

In den folgenden Tagen werden wir den Regen nicht los. Mal gewitterts schon um 11 Uhr morgens, mal nachmittags um 4, mal abends um 8. Total unberechenbar und etwas demotivierend ist das tägliche Nass. Wenn wir Glück haben, können wir bei einer Tankstelle unterstehen und Çay trinken oder ein Buswartehäuschen besetzen. Zusätzlich kämpfen wir täglich gegen den Wind. Mit 10km/h im Flachen kommen wir kaum vom Fleck. Immerhin, die Gegend gefällt uns. Von einer weiten Ebene gehts in die nächste. Bis zu den Hügeln wird intensiv Ackerbau betrieben. Immer wieder hüpfen kleine Erdmännli vom Strassenrand weg in ihre Löcher. Besiedelt ist die Gegend aber nicht stark. Schlafplätze geschützt vor Wind und Gewitter zu finden, ist nicht so einfach. Und auch hier erleben wir wieder Gastfreundschaft vom Feinsten. Neben Einladungen zum Tee, holt uns ein Lehrer in Tomarsa zum Nachtessen von der Strasse und drei Feldarbeiter bringen uns Cola.

Über Pinarbası fahren wir nach Sivas. Wir klappern die ganze Stadt nach einer günstigen Unterkunft ab und können beim ca. zehnten Anlauf endlich einen guten Preis verhandeln. Wir legen einen Ruhetag ein, an dem wir etwas durch Sivas schlendern, da und dort Çay trinken und es uns kulinarisch gut gehen lassen.

2 thoughts on “Zauberhafte Naturspektakel: Türkei, Teil III (19. – 30. Mai 2016)”

  1. Liebe Stramplis

    Mit Interesse lese ich immer wieder eure Berichte. Ganz speziell diesen aus Kappatokien. Ich war mit Brigitte zusammen vor ein paar Jahren eine Woche dort. Die Beschreibungen haben viele Erinnerungen wieder wachgerüttelt. Geniesst die Zeit. Ich wünsche euch eine gute und unfallfreie Weiterfahrt.

  2. Hallo ihr Lieben
    Vielen Dank für einen weiteren unglaublich interessanten Reisebericht 🙂 .. ich hab ja wirklich schon viele Fläckchen auf dieser Erde gesehen, aber die Bilder mit diesen unglaublichen Gesteinsformationen sind absolut fantastisch… !!!! ..unglaublich schön und faszinierend !
    Geniesst es und ich hoffe es kommen auch wieder weniger regenreiche Tage auf Euch zu 🙂
    LG und take care
    Gotti

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