Zurück auf thailändischem Boden führt uns unsere Route zu Beginn noch durch eine Ebene. Bei unserer ersten Pause will Sabine ihren Verband an der Hand neu anlegen und siehe da, ein kleines Steinchen schaut aus der Verletzung. Schnell ist es entfernt und nach zwei Wochen kann die Wunde nun endlich ganz verheilen. Bei regnerischem Wetter fahren wir bald durch hügeliges Gebiet, dass uns zwischen Ban Huai Muang und Phrao besonders gut gefällt, uns allerdings auch das erste Mal mit der unglaublichen Steilheit von thailändischen Strassen bekannt macht. Wir geraten nur schon vom Anblick der Strasse, die fast ganz ohne Kurven den nächsten Hügel raufführt, ausser Atem.
Motiviert strampeln wir nach Chiang Mai, es wartet nicht nur der berühmte Mae Hong Son-Loop auf uns, sondern auch Besuch aus der Schweiz.
Am frühen Nachmittag fahren wir in die Stadt ein. Zu Fuss geht’s zum nahegelegenen Flughafen um Sabines Mama in Empfang zu nehmen. Wie gut es tut, nach so langer Zeit wieder einmal die Mama zu drücken! Kaum im Hotel werden die Mitbringsel übergeben und wir geniessen freudig ein, zwei (oder mehr 😉 ) Stückchen Lindtschoggi und die superfeinen Wiehnachtsgutzli von Sämys Mami. Mmmmmh, einfach herrlich!
Nach zwei Regentagen machen wir uns auf in Richtung Nordwesten. Mama Marianne auf dem Scooter und wir zwei mit Leichtgepäck. Da wir wissen, dass uns eine anstrengende Runde erwartet, beschliessen wir, nur das Notwendige mitzunehmen und den Rest im Hotel einzustellen. Die ersten ca. 30km fahren wir gemeinsam. Dann wird es allmählich hügeliger und Marianne zieht davon. Die Strasse windet sich in Serpentinen den Berg hoch und wir geniessen das leichte Unterwegssein: Es geht zwar steil bergauf, doch merken wir, wie wir uns mehr Gepäck gewohnt sind und können richtig Gas geben.
Beim Zmorgen im Resort gibts – dem westlichen Inhaber sei Dank – seit Zentralasien zum ersten Mal wieder frisches Brot. Mmmmh, so was feines! Dann können wir es fürs Erste sausen lassen. Wir frieren etwas, zeigt das Thermometer wohl nur wenig über 10 Grad. Bald steigt die Strasse aber schon wieder, wir fahren durch saftig grünen Wald, passieren unzählige Hügel und erreichen einen Pass auf 1370m.ü.M. Wir befinden uns inmitten von Föhren und so duftet es herrlich nach Sandelholz. Die Abfahrt gehen wir langsam an. Der Sturz in Laos sitzt uns beiden noch in den Knochen. Zudem sind die Kurven vielerorts so steil und eng, dass wir ständig bremsen müssen. Auch der Kurvenradius ist oft nicht konstant und so spickt es Sämy einmal fast in die Wasserrinne. Kurz vor der Ankunft in Pai statten wir einem Canyon einen Besuch ab. Durch Erosion sind nur noch vereinzelt dünne Erdwände in der Landschaft stehen geblieben. Die auf der gelb-rötlichen Erde stehenden grünen Teak- und Nadelbäume geben ein beeindruckendes Bild ab. Zum Znacht geniessen wir einen köstlichen Fisch in Salzkruste mit Reis und Papaya-Salat. Mit einem Bier und frisch gepresstem Fruchtsaft lassen wir den Abend bei Livemusik im Hostel ausklingen.
Wir ziehen auch heute vor Marianne los, da ein langer Aufstieg zur Passhöhe auf 1390m.ü.M. auf uns wartet. Nicht der Höhenunterschied, aber die Steilheit der Strasse fordert uns richtig heraus. In den ganz engen Kurven beanspruchen wir die ganze Strasse für uns. Diese schlängelt sich ohne gross auszuholen den Berg hoch. Die Kurveninnenseite wird für uns zu steil. Aber auch aussen geht es zum Teil so bergauf, dass es uns wegen fehlenden Vordertaschen die Vorderräder vom Boden lupft! Wo immer wir können, nehmen wir der Strasse im Zick-Zack über beide Spuren etwas die Steilheit. Zum Glück hält sich der (Gegen-)Verkehr in Grenzen.
Bald ist es geschafft und wir rollen am frühen Nachmittag in Soppong ein. Hier legen wir einen Ruhetag ein, an dem wir ausschlafen, die Velos flicken und dann zur Höhle Tham Lod fahren. Ein Guide führt uns durch die Kammern und erkennt in diesem Stalaktit ein Krokodil, da einen Buddha und hier einen Affenkopf. Phantasie hat er zweifelsohne. Und ein Schnellzug ist er auch. Gerne schauen wir manchmal etwas genauer hin oder erkunden noch etwas weiter, als wo seine Öllampe hinleuchten mag. In die Höhle Nummer 3 nehmen wir das Bambusboot. Überall liegt Kot und es beginnt übel zu stinken. Die hier heimischen Fledermäuse machen einen ohrenbetäubenden Lärm. Nach ein paar besichtigten Holzsärgen, die seit fast 2000 Jahren da liegen, kehren wir auch schon wieder um. Gerade rechtzeitig können wir am Ausgang das beeindruckende Spektakel beobachten, wie abertausende Mauersegler für die Nacht in die Höhle zurückfliegen. Sie ziehen davor alle dieselbe grosse Kurve und auch die Eingangshalle verwandelt sich in einen richtigen Vogel-Tornado mit lautem Gekreische!
Am Dienstagmorgen ist Markt in Soppong und so kaufen wir uns unser Frühstück da zusammen. Das Angebot ist riesig: Von frischen Früchten und Gemüse über zubereitete Gerichte zu Alltags- und Pflegeprodukten und Schuhen und Kleidern gibt’s alles. Auch bunte Trachten der Bergvölker können erstanden werden. Sie sind in feiner Handarbeit mit kunstvollen Stickereien verziert. Der Markt zieht jeden Tag in eine andere Ortschaft, wo die Bewohner entlegener Dörfer ihre Produkte, meist aus der Landwirtschaft, verkaufen. Gleichzeitig bringen sie auch einen grossen Sack Reis oder etwas Fisch nach Hause. Bereits um 7 Uhr früh herrscht reger Betrieb. Bei vielen Verkäufern und Besuchern blitzt unter dem übergrossen Pulli traditionelle Kleidung hervor. Überhaupt kleiden sich die Menschen äusserst kreativ: Es ist noch frisch am frühen Morgen und so bindet man sich gerne ein Badetuch um den Kopf, trägt Mützen mit angenähten Bärenohren oder Socken mit Entenmotiv in den Sandalen. Hauptsache, es passt nichts zusammen.
Dann geht’s weiter nach Mae Hong Son. In den Wäldern riecht es blumig und der Schatten macht die Hitze erträglicher. Ein Blick über die Felder und uns wird klar: Landwirtschaft ist hier Handarbeit. Die Traktoren und Raupenreismähdrescher, die wir in den flachen Gebieten im Osten Thailands gesehen haben, gibt es hier nicht. Thais auf Scooter und hin und wieder auch in Autos hupen und zeigen uns mit einem grossen Lachen im Gesicht den Daumen nach oben. Steht Marianne mal auf uns wartend am Strassenrand, halten immer wieder total freundliche und hilfsbereite Leute und fragen, ob alles ok sei.
In Mae Hong Song machen wir einen Tag Pause. Wir besichtigen ein paar Tempel, die in dieser Region – so nah zur burmesischen Grenze – oft aus Holz, mit übereinander gestapelten Schrägdächern und filigranen Rändern geschmückt sind. Einer dieser Tempel steht auf dem Hügel hoch über der Stadt. Von da haben wir eine wahnsinnige Aussicht über das Tal und auf der anderen Seite das grüne Loi Lar Gebirge, welches Myanmar von Thailand trennt.
Nach Mae Hong Son ist das kleine, verschlafene Khun Yuam unser nächster Zielort. Zirka 30km vor Mae Sariang biegen wir zur Kaew Komol Kristallhöhle ab. 30m in der Tiefe ist es schwül-heiss und die 435-500 Millionen Jahre alten Kalzitsteine glänzen und glitzern nur so um die Wette. Die Formationen der Minerale sind in den diversen Kammern unterschiedlich und erinnern an Blumenkohl, Korallenriffe, Schneeflocken oder Blumen. Zum Glück führt uns ein Taxi zum Höhleneingang, denn wir fahren die wohl (vorerst) steilste Strasse Thailands hoch.
Die Landschaft verändert sich heute ständig: Von steppenartigen halboffenen Gebieten, braunen Feldern und grün bewaldeten Hängen bis zu Pinienwäldern. Wir machen Halt bei den Thep Phanom Hot Springs. Bei dieser Hitze mögen wir allerdings nicht ins heisse Wasser steigen. Wie «richtige» Thais kaufen wir uns aber drei Eier, die wir in einem der Becken im Bambuskörbchen kochen und anschliessend mit Soja-Sauce geniessen. Mae Chaem ist unser letzter gemeinsamer Etappenort. Hier müssen wir uns von Mama Marianne verabschieden. Während wir eine Pause benötigen, geht’s fürs sie zurück nach Chiang Mai. Viel zu schnell sind die paar Tage vorbeigegangen. Gerade hat man sich so richtig an die neue Reisegruppe gewöhnt, sind wir wieder alleine.
Die Steigung Richtung Doi Inthanon legen wir zum Glück fast vollkommen im schattigen Wald zurück. Aber trotzdem ist sie steil und hart und Sabine trotz zwei Ruhetagen nicht fit. So nimmt Sämy auch noch ihre Taschen und erklimmt die 1000 Höhenmeter mit fast Normalgewicht. Er realisiert, wie hart der Loop ohne Materialdepot in Chiang Mai gewesen wäre…
Mit Rückenwind geht’s flott zurück nach Chiang Mai. Nach diesen strengen Tagen in den Bergen sind die Batterien erstmal leer. Eine Massage bringt kurzzeitige Besserung, sodass wir uns – nun wieder vollbeladen – in die nächste Hügelkette wagen. Der Beginn ist gemütlich, richtig schön schleicht sich die Strasse langsam den grünen Jungle hoch. Doch plötzlich ist fertig lustig: Immer kürzer werden die Intervalle zwischen den supersteilen Abschnitten. Die Strasse ist schmal, es hat viel Verkehr und daher ist das Zick-Zack-Fahren nicht so einfach. Nach dem letzten Dorf (welches voll mit asiatischen Touristen ist und wir den Grund dafür nicht verstehen), hat es endlich nicht mehr viele andere Verkehrsteilnehmer. Weihnachtssternsträucher säumen den Wegrand und zeitweise duftet es wie in einem Massagesalon. Es wird langsam Abend, wir werden müde, die Strasse steiler. Irgendwann müssen wir absteigen und unsere Velos schieben. Dann schaffen wir auch das nicht mehr und helfen uns gegenseitig die Räder auf den Berg zu kriegen! Die Thais spinnen! Kurz vor Sonnenuntergang erreichen wir den höchsten Punkt und erhalten als Belohnung eine wunderbare Aussicht über die in orangetöne-getünchte Landschaft.
Am Abend finden wir eine tolle Unterkunft. Die Familie ist supernett und obwohl wir uns wegen der Sprachbarriere nicht gross austauschen können, herrscht eine gemütliche, fröhliche Stimmung und wir werden prompt zum Znacht eingeladen. Jeder erhält einen Teller Reis und kann sich von den vielen feinen Gerichten, die auf dem Tisch stehen, aussuchen, was ihn gerade gluschtet. Ein Bier finden wir im nahegelegenen Ort, chauffiert werden wir im uralten Chevrolet-Schlitten. Und kaum schauen wir am nächsten Morgen aus unserem Bambushüttli, ruft Chai: «Come, coffee!». Dazu gibts dann noch frittiertes Poulet und Reis, welches er als Nebenverdienst am Strassenrand verkauft. Solche Begegnungen haben wir sehnlichst vermisst und es war so schön, für einen kurzen Moment mittendrin in einer Thai-Familie zu sein. Es sind diese Erlebnisse, wo uns für ein paar Stunden eine wildfremde Tür geöffnet wird und wir einen ganz normalen Abend mit einer Familie verbringen dürfen, die unsere Reise so sehr bereichern. Wir werden für einen Augenblick zu «Locals». Hier in Thailand fühlen wir uns sonst als Touristen, die sich das Land wie in einem Vergnügungspark von Aussen ansehen. Die Türen bleiben oft leider verschlossen.
Wir fahren weiter, immer südwärts, mit ein paar Zwischenstopps bei Sehenswürdigkeiten, die wir uns auf der Karte markiert haben. Die Ruinen von Si Satchanalai besichtigen wir mit vollbeladenem Velo. In Sukhotai geniessen wir die Fahrt durch verfallene Tempel und Steinhaufen, die sich auf 45 Quadratkilometern verteilen, ohne Gepäck.
Sabines Energiereserven sind jeweils im Nu aufgebraucht und da sieht sie Sämy nur noch von hinten… Gut, ist ein Eiskaffee oder feines Essen nie weit und so gibt’s immer mal wieder für ein paar Münzen eine Tüte frisch frittierte Bananen, Süsskartoffeln oder Klebreis im Bambusrohr zur Motivationssteigerung. Unsere Route führt uns durch kleine Teakhausdörfer und wir wissen langsam, Thais mögen es gerne laut. Sei es in einer Karaokebar, einem offenstehenden Auto oder der Radio, der in den Ortschaften aus den an Strassenlaternen montierten Lautsprechern plärrt. Immer wieder überholt uns ein Pickup – die Ladefläche voll mit Boxen – und mit ohrenbetäubender Lautstärke wird im Schritttempo für z.B. den nächsten Thaibox-Wettkampf geworben. Dann fährt uns ein Gebetsbus, gefüllt mit in orangen Roben gewickelten Mönchen, für zehn Minuten hinterher. Dabei werden die Felder natürlich mit Meditationsmusik beschallt. 🙂
Wir machen einem Abstecher an den Eisenbahnmarkt Mae Klong. Hier führen die Zuggleise mitten durch die Frucht- und Fischstände. Fährt ein Zug ein, werden die mobilen Auslageflächen rasch zurückgezogen, bis wenige Sekunden später wieder Normalbetrieb herrscht. Danach fahren wir wegen Mangel an bezahlbaren Unterkünften und Campingmöglichkeiten unfreiwillig 148km nach Phetchaburi. Wir erreichen die Ortschaft erst spät Nachts und pausieren für zwei Tage. Hier entdecken wir diverse Süssspeisen. So schlagen wir uns die Bäuche voll mit Looktan Cheum (kandierte Palmkerne), Khanom Tarn (Pudding aus Palmzucker), Takoh (Kokosnuss-Creme-Gelee) und vielem mehr. Mmmmh..!
Unsere Route führt uns auf bester Strasse durch herzige Fischerdörfchen – wo die Fische in der Sonne trocknen, Nationalparks mit beeindruckenden Kalksteinfelsen, Nadelwälder, grüne Ölpalmen- und Ananasplantagen und, nur wenige Meter vom Strand entfernt, dem Meer entlang. Die Vorfreude auf Strandferien wächst und nach ein paar langen Etappen sind wir definitiv reif für die Insel! Wir setzen mit der Fähre nach Koh Pha Ngan über.
Dank Geheimtipp unserer Luang Prabang-Freunde Marine und Axel finden wir im Nordwesten gemütliche Bungalows. Hier frönen wir ein paar Tage dem Nichtstun: Wir liegen am Traumstrand, kühlen uns im Meer ab, bewundern schnorchelnd die Wasserwelt des nur wenige Meter vom Strand entfernten Korallenriffs, spielen «Siedler von Catan» und schnappen uns hin und wieder eine Kokosnuss, die gleich hinter unserem Bungalow zu Boden fällt. Zudem schmieden wir Pläne. Wir sind uns einig, so geht’s nicht! Wir fahren hier von Sehenswürdigkeit zu Sehenswürdigkeit. Das Velofahren dazwischen ist mehr nur Arbeit. Keine Wahnsinnsaussichten, wenige Begegnungen mit Einheimischen, keine unglaublichen Landschaften. Veloferien in Thailand (vielleicht in ganz Südostasien?) ist nicht so unser Ding und wir denken etwas wehmütig an die abenteuerlichen Tage zurück. Ob die Grenze von Myanmar nach Indien offen ist, ist unklar. Wahrscheinlich nicht. Und diese Ungewissheit lässt nicht so richtig Motivation für die noch vor uns liegende Strecke aufkommen. Es fällt uns nicht leicht, von unserem ursprünglichen Ziel abzuweichen. Aber wir müssen uns etwas einfallen lassen!
Mit Fähre, Zug und Bus geht es schliesslich in 36 Stunden via Bangkok nach Chiang Mai zurück. Und dort aufs chinesische Konsulat. Vier Tage müssen wir uns gedulden, bis endlich das Visum in unserem Pass glänzt. Jetzt haben wir einen konkreten Plan: Es geht heimwärts! Wir nehmen den Bus in den herzigen Grenzort Chiang Khong, wo wir ein letztes Mal alle Vorzüge eines thailändischen Dorfes geniessen. Mit Cocktails stossen wir bereits jetzt auf unser einjähriges Reise-Jubiläum an. Am letzten Tag unseres Thai-Visums fahren wir endlich wieder Velo, an die Grenze und über die altbekannte «Friendship-Brücke 4» zurück nach Laos.