Hoş geldiniz: Türkei, Teil I (20. April – 3. Mai 2016)

Beim türkischen Grenzübergang überkommt uns ein mulmiges Gefühl. Schwer bewaffnete Soldaten stehen schussbereit da, wir fahren durch hohe Stacheldrahtzäune und werden von streunenden Hunden beschnuppert. Auch wenn die Beamten im ersten Moment nicht sicher scheinen, was sie mit unseren Pässen tun sollen, werden wir schliesslich durchgewinkt.

In Edirne wartet ein Gastgeber auf uns, den wir über das Netzwerk WarmShowers (von und für Velotourenfahrer) gefunden haben. Bis zu ihm werden wir aber zuerst mit dem türkischen Verkehr bekannt gemacht. Rund um uns hupt es, von überall her fahren Autos überall hin, so dass wir kaum wissen, wo schauen. Nach einer Fahrt durch das Autogaragen-Quartier (eine reiht sich an die nächste, Strasse für Strasse), finden wir den Bikeshop und dessen Inhaber Engin. Die Begrüssung ist herzlich: “Hoş geldiniz!” (Herzlich Willkommen!) rufen uns alle zu. Kaum vom Velo abgestiegen, halten wir schon unseren ersten türkischen Çay (Tee) in der Hand. Wir verbringen einen lustigen Abend in Engins Küche mit Bier und Rakia. Und dies auch, weil die Kommunikation nicht einwandfrei funktioniert: Wir müssen uns erst an sein stark türkisch geprägtes Englisch gewöhnen. Zudem stellt sich immer wieder heraus, dass wir uns gegenseitig nicht (ganz) verstanden haben. 🙂

Engin möchte, dass wir noch länger bleiben und mit ihm zum BBQ aufs Land fahren. Zeit dafür hat er allerdings nur sonntags. An den restlichen Tagen steht er von morgens um 10 Uhr bis abends um 21 Uhr in seinem Bikeshop. Und dies nach seiner Pensionierung! Leider müssen wir sein Angebot ausschlagen, da unsere Familien bereits auf der Anreise nach Istanbul sind. Unser Ziel ist es, den 10-Uhr-Bus zu erwischen. Am ersten Schalter heisst es: “Mit Velo? Nein, geht nicht, kein Platz. Schaut bei der anderen Busgesellschaft vorbei.” Ok, dann stellen wir uns nebenan an den Schalter. “Velo? Nein, klappt nicht.”, wir sollen uns wieder beim ersten Unternehmen melden. Der erste Ticketverkäufer hat dann Erbarmen und verhilft uns zu einem Platz beim zweiten Busunternehmen. Keine 10’ später sitzen wir im Bus und verlassen Edirne. Für die Velos müssen wir dann noch zusätzlich bezahlen. Dafür haben wir den “Kellner” im Bus auf unserer Seite und er verteilt uns doppelt so viele Getränke und Snacks, wie allen anderen Passagieren. 🙂
Kaum im Bus, werden wir faul und wachen erst im stockenden Verkehr von Istanbul wieder auf. Wow, diese Riesenstadt! Wir sind beeindruckt von den massenhaften Fahrzeugen auf der bis zu 5-spurigen Autobahn!
Nun folgt die nächste Herausforderung: Vom riesigen Busterminal zum ca. 10km entfernten Hotel zu finden. Wir werfen uns in den Verkehr und kommen schnell durch die Industriegebiete. Beim WC-Halt an einer Tanki, kaum angehalten, werden wir sogleich ausgefragt: “Woher seid ihr?, Wohin fahrt ihr?, Verheiratet?, Kinder?, seid ihr Muslime?, …”. Im Touristenviertel Eminönü versucht vor jedem Restaurant ein Kellner uns mit seinen unschlagbaren Angeboten an den Tisch zu kriegen. Vor unserem 4*-Hotel werden wir von den Portiers dann allerdings ungläubig gefragt, ob wir wirklich hier übernachten?!

Das Wiedersehen mit der Familie ist unbeschreiblich. Irgendwie fühlt sich das Ganze nicht so real an… Wir geniessen die vier Tage in vollen Zügen: plaudern und lachen, einfach den anderen nachlaufen, ohne sich darum kümmern zu müssen, wie man wo hinkommt, an einem grossen Tisch zu Abend essen, Sightseeing (Galata-Turm, Sultanahmet-Moschee, Aya Sofya, Acquaedukt,…) mit Guide Roland, riesiges und feines Frühstücksbuffet, … Die Geschichte hinter dieser Stadt hat viele Spuren hinterlassen, die wir zwischen Çay und Döner besichtigen. Istanbul fasziniert uns unglaublich. Wir bummeln durch die Bazare und können uns an den schönen verschiedenen Farben der Gewürze kaum satt sehen. Von der Strasse, in der sich ein Kabelgeschäft ans nächste reiht, gehts in die Lampengasse, in den Veloshop-Weg, usw. Hier gibt es für alles gleich eine ganze Strasse gefüllt mit den gleichen Verkaufsartikeln.

Der Abschied von all den lieben Leuten fällt uns schwer, aber viel Zeit bleibt uns nicht. Schon steht das kleine Taxi da und alle fünf werden irgendwie hineingepfercht. Wir machen uns auf den Weg, eine neue Bleibe für die nächsten paar Tage zu finden. Im selben Stadtteil klappern wir Hotels, Guesthouses und Hostels ab und versuchen, ein schönes und günstiges Zimmer zu finden. Alle lassen mit sich verhandeln und klagen, dass die Leute momentan wegbleiben würden. Die Terror-Angst im Westen scheint gross.

Auch weiterhin profitieren wir von einem grossen Frühstücksbuffet, ab nun auf der Dachterrasse mit Sicht auf den Schiffsverkehr im Marmarameer. Für einmal sind wir ein paar Tage richtig faul, schlafen aus und geniessen es, einmal länger am selben Ort zu sein. Abends suchen wir uns ein Restaurant und essen uns durch die feine türkische (Fleisch-)Küche. Hin und wieder zieht es uns raus zum Sightseeing: Fast einen ganzen Tag verbringen wir auf dem Gelände des imposanten Topkapi Palastes und wir statten der Basilica Cisterne einen Besuch ab: Eine riesige Halle mit im Wasser stehenden Säulen. Istanbuls Unterwelt ist total eindrücklich. So nimmt uns auch nach dem Znacht in einem Restaurant der Kellner mit in den Keller. Wir landen in einem Palast unter der Erde aus byzantinischer Zeit, der noch nicht vollständig ausgegraben ist. Faszinierend!
Neben Visa-Abklärungen und Routenplanung machen wir einen Ausflug mit der Fähre nach Kadiköy. Hier lernen wir ein anderes Istanbul kennen: Modern, geschäftig und einiges weniger touristisch geht es hier zu und her. Wir wissen von einem Tourenvelo-Shop, in dem Sämys Velo eine neue, richtig gute Felge verpasst kriegt, mit der es nun hoffentlich ohne Zwischenfälle weitergeht. Wir bleiben beim Shop hängen und plaudern den ganzen Nachmittag mit einem deutschen und zwei belgischen Tourenfahrern mit uns ähnlichen Plänen.

Am nächsten Morgen packen wir unsere Taschen und fahren zum Hafen. Eine Fähre bringt uns in einer Stunde übers Marmara-Meer von Istanbul nach Yalova. Nach einer längeren Velofahr-Pause sitzen wir wieder im Sattel. Was für ein gutes Gefühl! 🙂 Wir kämpfen uns über ein paar Hügel und blicken dann runter zum blauen Iznik-See. Wow! Eingebettet in die Berge rund herum, sieht er wunderschön aus. Wir geniessen es, wieder einmal “in der Natur” zu sein. Auf der Südseite des Sees führt die Strasse durch riesige Olivenplantagen, so dass der See oft gar nicht sichtbar ist.

In Iznik erwartet uns unsere erste Couchsurfing-Erfahrung. Nach der herzlichen Begrüssung gehen wir gleich ins volle Köfte-Restaurant, wo Tuğçe und Ahmed für uns Köfte (Hacktätschli), Salat und mehr Fleisch bestellen. Beide sind gerade dabei, englisch zu lernen und so bleibt der Translater im Telefon unser guter Freund. Den Tee trinken wir am See und fahren anschliessend zu ihnen – Ahmed und Tuğçe im Auto voraus, Sämy und Sabine auf dem Velo hintendrein. 😉 Bei türkischer Live-Gitarrenmusik wird uns ein herrliches Dessert im Wohnzimmer serviert. In Sachen Essen gehts uns wirklich top! Unsere gemütliche Runde ergänzen bald der Nachbar mit seiner Familie, der etwas besser englisch spricht.

Ein feiner Brunch und eine City-Tour stehen am nächsten Tag auf dem Programm. Selbstverständlich werden wir zu allem eingeladen, wir sind schliesslich ihre Gäste! Der Abschied fällt uns schwer, aber wir möchten noch ein paar Kilometer fahren. Auf einer neuen Schnellstrasse mit breitem Seitenstreifen kämpfen wir uns die Steigung hoch. Plötzlich wird es laut: Es hupt wie wild und ein langer Tross einer türkischen Hochzeitsgesellschaft (mit Kameramann im offenen Kofferraum des Autos vor dem Brautpaar) überholt uns. Vor der Abfahrt treffen wir auf eine Gruppe Velofahrer: Die Studenten aus Sakarya sind auf dem Heimweg vom Wochenendausflug und so fahren wir ein Stück zusammen. Einige sprechen gut englisch, mit einer Germanistik-Studentin können wir uns sogar auf deutsch unterhalten.

Die von Tuğçe empfohlene Unterkunft in Geyve ist uns etwas zu teuer und so ziehen wir lieber weiter. Ausgangs Dorf fragen wir einen Bauern, ob wir hier irgendwo unser Zelt aufstellen dürfen. Dieser drückt uns beiden ein paar Früchte in die Hand und lässt uns zelten “wo immer wir wollen”. Kaum steht unser Zelt kommt er vorbei und bringt Eier, 5l Wasser, Kirschen und Erik (noch grüne Pflaumen). Wir sind baff von der unglaublichen Hilfsbereitschaft!

Am nächsten Morgen erklärt der freundliche Bauer uns den Weg. Wir weichen etwas von seiner Wegbeschreibung ab, um ein paar Höhenmeter zu sparen. Tja, wären wir ihr wohl besser gefolgt: Die Strasse endet im Nichts… Wir drehen und schon sehen wir den Bauern mit den Armen fuchtelnd auf seinem Töffli sitzen. Schön brav fahren wir ihm nun nach und kommen so, sicher an den bellenden Hunden vorbei, auf die grosse Strasse.

In Göynük klappern wir ein paar Hotels und Pensionen ab, aber wir können uns schliesslich für nichts entscheiden und fahren aus dem herzigen Städtli raus. An einer Wasserstelle vor einer Moschee machen wir eine Katzenwäsche und auch das Geschirr wird wieder sauber geschrubbt. Wir finden einen schönen Platz für unser Zelt auf einer Wiese, etwas weg von der Strasse. Beim Aufstellen werden wir von Mücken aufgefressen und greifen wehmütig zum Antibrumm. Klebrig ins Bett gehts jetzt halt allemal. Kurz darauf startet ein heftiges Gewitter und wir verkriechen uns im Zelt. Nach dem Znacht hören wir noch etwas Musik, als es plötzlich neben unserem Zelt knurrt. Sämy wagt einen Blick nach draussen: Wir sind wohl in das Revier von sieben (!) Hunden eingedrungen… Zum Glück verziehen sie sich nach einigem weiteren Knurren und wir verbringen eine ruhige Nacht.

Durch grüne Täler fahren wir in Richtung Bolu weiter. Es schüttet wie aus Kübeln. Wir sind nicht sicher, ob es mit einer WarmShowers-Übernachtung klappt und trinken erst einmal einen Tee in einem Café. Leider ist der WS-Gastgeber nicht in der Stadt und so suchen wir nach einer günstigen Unterkunft j gar nicht so einfach, die Hotels hier in der Türkei sind verhältnismässig sehr teuer. Etwas verzweifelt fragen wir ihn um Hilfe. Kurz später sitzen wir wieder auf dem Velo: Unser WarmShowers-Kontakt hat uns ein Zimmer in einem Hotel organisiert. Natürlich mit der Bemerkung, wir müssten nichts bezahlen! Einmal mehr sind wir total erstaunt von der unglaublichen Gastfreundschaft! Wir schätzen die warme Dusche, das bequeme Bett und das Frühstück umso mehr und verlassen am nächsten Morgen Bolu in Richtung Yedigöller-Nationalpark.

3 thoughts on “Hoş geldiniz: Türkei, Teil I (20. April – 3. Mai 2016)”

  1. Aiaiaiiii! Do bechunnt me wirklich wahnsinnigs Fernweh! Das dönt super idrücklich, abentürlich, bezaubernd, spannend (……..!!!!!)
    Und dr Hammer – ihr sind in Yalova gsi – dört hättet ihr ebbe ä alti Person chönne fahnde 😉… Schinbar isch dört grad e riese Sufifestival gsi – händer das mitünercho??
    Häbets guet und gniesseds witerhin!!!
    P.s.: ich glaub au, dass dir so lang blibed wie s Gäld längt 😊😊😊!

  2. Es macht Spass, euch zu folgen!
    Die herzliche türkische Gastfreundschaft hat mich auch immer fasziniert. Da können wir uns eine dicke Scheibe abschneiden.
    Bitte auch mal Fotos von euch beiden!
    Lg
    Ute

  3. Wow so schön. Do kriagt ma richtig Fernweh wenn ma euri Biiträg liest.
    Wia gohts dr «Emma»? 😉 Und he, s wär öpa mol Ziit für as Foti fu eurna Wädli! ;-P

    Liaba Gruass,
    Natacha

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